Ist Unna bereit für das Lastenrad? Ein Selbstversuch
Unser Autor fährt seit einem halben Jahr mit dem Lastenrad durch Unna und hat fast jeden Radweg mindestens einmal damit befahren. Hier teilt er seine Erfahrungen über die Vor-und Nachteile eines solchen Gefährts.
In Unna gibt es noch nicht viele Lastenräder und so erntet man den ein oder anderen erstaunten Blick, wenn man mit dem etwas überlangen Fahrrad andere Menschen passiert. Dabei sind die Maße gar nicht so ausufernd: Mein Lastenrad der Marke Bullit ist 243 cm lang und damit nur knapp 50 cm länger als ein durchschnittliches Fahrrad. Ohne die Transportkiste ist es genauso breit wie ein normales Fahrrad. Auch ein Lastenrad kann also schnittig sein und bietet eben die Möglichkeit, mehrere Kisten Getränke oder ganze Wochenendeinkäufe zu transportieren, ohne dabei seinen sportlichen Reiz zu verlieren.
Mit elektrischer Unterstützung oder nicht?
Das ist eine Frage, die man sich stellen und beantworten muss. Ich würde diese Frage ganz klar mit einem Ja beantworten. Auch wenn sich ein Lastenrad mit viel Gepäck und Beladung auf gerader Strecke noch sehr komfortabel fahren lässt - spätestens beim nächsten Anstieg merkt man das erhöhte Eigengewicht und die Last erheblich. Für alle die irgendwann mal bei der Tour de France mitfahren möchten, mag der nächste Berg dann eine Motivation sein - Menschen die im Alltag schnell, komfortabel und nicht komplett verschwitzt mit dem Wocheneinkauf oder den Kindern irgendwo ankommen möchten, sollten zu einer elektrisch unterstützten Variante greifen. Denn sonst nutzt man das Rad bei anstehender schwerer Last vielleicht doch nicht ganz so oft, wie man sich das vorher gedacht hat. Das ist vor allem der Fall, wenn man in Unna viel von Süden nach Norden fährt, dort wartet der ein oder andere Anstieg je nach Richtung. Durch das geringe Gewicht im Vergleich zum Auto reicht aber schon ein normaler eBikemotor aus, um auch schweres Gepäck zu transportieren. Das durchschnittliche neu zugelassene Auto hat 158 PS, also 116 kW. Ein Pedeleclastenrad ist bereits mit 0,25 kW hervorragend ausgestattet und schafft jeden Berg in Unna (auch den Ostenberg oder die Eule hoch!). Der Energieverbrauch ist also sehr gering und man schont trotz verbautem Akku die Umwelt. Auch hier ein Vergleich: Ein Akku für ein eFahrzeug wiegt zwischen 200 und 700 kg, bei einem Ebike sind es zwischen 2,5 und 5 kg.
Pollerangst
Insbesondere am Anfang hatte ich die große Angst vor Pollern und Umlaufsperren im Kopf. Irgendwann würde ich nicht weiter kommen, vor einer Barriere stehend, für die das Lastenrad zu breit ist. In der Praxis stellt sich diese Befürchtung nicht ein. Selbst die sogenannten Gängelgitter, also seitlich versetzte Barrieren lassen sich recht einfach umfahren, ohne überhaupt absteigen zu müssen. Einzige Ausnahme ist der Weg von der Talstraße zum Bornekamp herunter. Dort muss man wirklich schwer kämpfen um sich durch die Gitter zu schälen.
Das Dilemma mit den Radwegen
Wer in Unna häufig mit dem Rad unterwegs ist, kommt schnell zu der Erkenntnis, dass es auch ohne Wochenendeinkauf im Fahrrad an so mancher Stelle eng wird. Wenn benutzungspflichtige Radwege vorhanden sind, sind diese oftmals schmal und uneben (Morgenstraße) - das macht die Fahrt mit schweren Sachen nicht gerade angenehmer und das Radfahren an sich ist anstrengender. Man muss sich gut konzentrieren, bei Gefahrenstellen abbremsen und den Überblick behalten (Gute Bremsen sind bei einem Lastenrad übrigens mit am wichtigsten!). Viele Schutzstreifen führen entlang von parkenden Autoreihen, von denen man aus Sicherheitsgründen sogar einen großen Abstand halten sollte (Dooringunfälle). Ein Beispiel hierzu wäre z.B. die Friedrich-Ebert-Straße hoch zum Kreishauskreisel. Beim Radwegenetz besteht also noch viel Nachholbedarf. Die Forderungen des ADFC nach mehr sicheren Radwegen ist wichtig und kann Menschen dazu motivieren, auf das Fahrrad im Alltag umzusteigen. Viele Menschen haben berechtigterweise Angst vor Gefahren im Straßenverkehr - daher ist das beste, was eine Kommune gestalterisch tun kann, die Verkehrsarten voneinander zu trennen. Das entlastet nicht nur Menschen die einen PKW benutzen, sondern auch Radler*innen fühlen sich sicher und kommen entspannt an.
Die Lust an der Last
Ein Lastenrad trägt einiges an Gepäck, wie viel eigentlich? Ich habe nach einem halben Jahr Testphase so ziemlich alles mit dem Fahrrad transportiert. Ob vier Kisten Getränke, ein kompletter Wochenendeinkauf, drei Meter lange Dachlatten oder eine Jahresration Hundefutter – das Bullit erwies sich als optimales Transportmittel. Mit dem Lastenrad unterwegs,braucht man sich keine Gedanken mehr darum machen, ob man jetzt zwei oder drei Liter Milch mitnimmt. Das Fassungsvermögen erscheint schier unendlich. Man kann bei einem Lastenrad ganz klar von einem Autoersatz sprechen, da die meisten Transporte selten das gesamte Fassungsvermögen eines PKW beanspruchen, sondern eben oft schon ein oder zwei normale Klappkisten völlig ausreichend sind. Was man bei einem Lastenrad immer dabei haben sollte: Ausreichend Spanngurte und Befestigungsmaterial - So gelingt die Fahrt auch mit sperrigen Gütern unkompliziert und sicher. Wer im Lastenrad noch nicht genug Stauraum hat, kann noch einen Fahrradanhänger anbauen. Das klingt jetzt langsam wirklich verrückt, die Länge übersteigt aber weiterhin nicht die eines durchschnittlichen Autos und man bleibt je nach Modell genauso schmal wie das Rad und kann die Radwege noch völlig unkompliziert nutzen - es klingt waghalserisch, fährt sich aber überraschend problemlos und ist absolut alltagstauglich.
Es gibt sowieso mittlerweile unendlich viele verschiedene Lastenräder, die alle unterschiedliche Zwecke erfüllen können. Manches Modell ist sehr gut zum sicheren Transport von Kindern geeignet, diese haben dann meistens vorne zwei Räder und dazwischen eine große Kiste. Das macht das Gefährt sehr sicher, geht aber zu Lasten der Schnittigkeit eines normalen Rades. Ich kenne aber viele Menschen, die den Komfort eines solchen Rads sowieso mehr bevorzugen als eine gute Kurvenlage ;-) Es lohnt sich jedenfalls, mal selbst zu prüfen, was man eigentlich so tagtäglich hin und her transportiert und dann nach einem passenden Gefährt zu suchen.
Fazit
Das Lastenrad ist aus Ingenieurssicht eine perfekte Konstruktion und verbindet viele gute Eigenschaften miteinander. Man ist sehr spontan und kann bei wenig Platz- und Ressourcenverbrauch eine Menge mitnehmen. Auf viele derzeit drängende Probleme ist das Lastenrad eine gute Antwort. Es verursacht weder Lärm noch Abgase und verbraucht kaum Ressourcen. Die Abnutzung der Wege ist minimal, der Platzverbrauch gering. Das Ladevolumen und die Reichweite für den überwiegenden Großteil aller Besorgungen ist mehr als ausreichend. Man hält sich fit und wird gesünder durch regelmäßige Bewegung. Ein Lastenrad ist ein echtes Allroundtalent - Je mehr Menschen das für sich selbst wahrnehmen und nutzen, desto eher lässt sich das Chaos auf den Straßen Unnas beherrschen - damit auch alle, die auf das Auto angewiesen sind, ebenfalls schneller vorrankommen.
Die Radwegeinfrastruktur sollte sicherer sein, damit Menschen jeden Alters sie benutzen können. Es gibt viele Ecken in Unna, wo schon an einer Verbesserung gearbeitet wird. Allerdings fehlt insbesondere an den wichtigsten Einfahrtsrouten in die Stadt die sichere Infrastruktur für den Radverkehr (z.B. Hertinger Straße, Massener Straße, Morgenstraße, Hammer Straße). Eine Verkehrsberuhigung generell würde dazu beitragen, mehr Menschen für die Nutzung eines Lastenrads zu motivieren. Mit den Kindern in der Kiste möchte man ungern von Fahrzeugen überholt und teilweise geschnitten werden, die an manchen Stellen mehr als 50 km/h schneller als Radler*innen fahren.
Leider fehlen im gesamten Stadtgebiet sichere Abstellmöglichkeiten für Lastenräder. Möchte man sie irgendwo anschließen, eignet sich eine Laterne deutlich besser als Fahrradständer, wo mit Mühe das Vorderrad gerade eben in die Fahrradständer passt. Sichere Abstellkäfige mit Lademöglichkeiten wäre also für die Zukunft ein wichtiger Schritt.
Dort wo die Infrastruktur schon geschaffen ist, macht es besonderen Spaß mit dem Lastenrad unterwegs zu sein. An der frischen Luft, zügig unterwegs - aber nicht stressig. Alles dabei, für den Fall der Fälle. Ob Regenhose, Bohrmaschine, Kiste Bier oder den Hund - oder das alles zusammen.
So ein Lastenrad kommt auch mit nicht optimaler Infrastruktur zurecht. Daher kann man schon sagen, dass Unna lastenradtauglich ist, aber auf vielen Wegen ist noch deutlich Luft nach oben. Für die Lebensqualität der Menschen, die sich umweltbewusst und trotzdem schnell und sicher fortbewegen wollen, ist es daher dringend notwendig, eine Mobilitätswende für Unna einzufordern und umzusetzen.