Die richtige Glocke für meinen Lenker
Von aggressiven Weg-Da-Schubsern und scheuen Könnte-ich-vielleicht-vorbei-Piepsern
Die Radglocken meiner Jugendräder wurden von mir immer achtlos benutzt, weil sie stets zufriedenstellend ihren Dienst taten. Auf der Suche nach einem neuen „perfekten“ Bike fand ich an den Steuerrohren der teuersten Velos eine Vielzahl von billigsten Signalgebern, die mit ihren krächzenden Lauten und instabilen Klöppeln einen unangenehmen Nachhall erzeugten. Grund genug, mich auf die Suche nach der „perfekten“ Bimmel zu begeben.
Schon seit 1894 wurde unseren Rad fahrenden Vorfahren durch eine Verordnung der Königlichen Regierung zu Arnsberg vorgeschrieben, eine „Glocke“ oder eine „Signalpfeife“ mitzuführen, mit der sie sich bereits in einer Entfernung von „50 Metern“ mit einem „nöthingenfalls zu wiederholenden Signal“ bemerkbar zu machen hatten. Unsere aktuelle Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) aus dem Jahr 2014 schreibt lediglich eine „helltönende“ Glocke vor. Nach einer DIN-Norm müssen die Fahrradklingeln in 2 Meter Entfernung einen Schalldruck von 85 dB erzeugen. Weitere Anforderungen zur Tonhöhe (Frequenz) und Dauer sind nicht definiert. Außerdem schreibt die StVZO ausdrücklich vor, dass Radlaufglocken nicht zulässig sind und auch andere Einrichtungen für Schallzeichen wie zum Beispiel elektrische Hupen nicht angebracht werden dürfen.
Tippt man den Begriff „Fahrradglocke“ bei einem Internethändler ein, deren Namen ich hier nicht nennen möchte, erhält man weit über 400 Ergebnisse. Sortiert man nach dem Preis, so kostet die billigste Bimmel 1 Cent bei 4,99 Euro Versandgebühr ;-). Wer mehr ausgeben möchte, kann auch das teuerste Produkt, ein wasserdichtes elektronisches 6 Sound-Horn (Verboten!) für 212,85 Euro bestellen. Ob rote, blaue, gelbe, pinke Marienkäfer für Insektenfreunde, Kaffeekannen für Spätaufstehende, Kuhglocken für Transalp-Fahrer*innen - für jede Liebhaberei findet sich ein passender Signaltongeber für die Steuerstange.
Frage ich die Künstliche Intelligenz ChatGPT, nach welchen Kriterien ich meine neue Fahrradklingel auswählen soll, erhalte ich die folgende Antwort:
- Lautstärke: Eine Fahrradklingel sollte laut genug sein, um von anderen Verkehrsteilnehmern gehört zu werden, insbesondere in lauten Umgebungen.
- Design: Wählen Sie eine Klingel, die zu Ihrem Fahrrad passt und die Ihnen gefällt.
- Größe und Gewicht: Eine leichte und kompakte Klingel ist einfacher zu montieren und tragen.
- Witterungsbeständigkeit: Eine Klingel sollte für den Einsatz im Freien geeignet sein und gegen Regen und Feuchtigkeit geschützt sein.
- Bedienung: Eine Klingel sollte einfach zu betätigen sein und bequem erreichbar sein.
- Kompatibilität: Stellen Sie sicher, dass die Klingel mit dem Lenker Ihres Fahrrads kompatibel ist.
- Dauerhaftigkeit: Eine Klingel sollte langlebig und robust sein, um dauerhaft zu funktionieren.
Ich habe mich beim Testdesign dem Vorschlag der KI angelehnt. Die Lautstärke habe ich mittels einer kostenlosen Schallpegelmessung-App auf meinem Smartphone ermittelt, wobei gesagt werden muss, dass die App nicht kalibriert ist. Das Design-Kriterium habe ich nicht in den Test aufgenommen, da es sehr subjektiv ist und dem Leser überlassen werden muss. In der Antwort der KI fehlte mir die Klangwahrnehmung, da ich der Meinung bin, dass Tonhöhe, Klangdauer und Wohlklang mittels Obertönen für die Wahrnehmung wichtig sind. Hierzu habe ich durch Befragung von ADFC-Freund*innen die Klangwahrnehmung mit einer Skala von 1-8 bewerten und mit Worten beschreiben lassen, um anschließend für den Test das Ergebnis in gut +, mittel o und schlecht - zusammenzufassen. Das Gewicht wurde mittels einer Feinwaage bestimmt. Die Größe gibt den Durchmesser des Klangkörpers an. Witterungsbeständigkeit und Dauerhaftigkeit wurde zusammengefasst. Da ich keinen Langzeittest durchführen konnte, habe ich mich auf die Ermittlung der verwendeten Materialien beschränkt und es bleibt dem/der Leser*in überlassen, wie er/sie die Materialien bewertet. Bei der Bedienung wurde auch Art und Ort der Anbringung mit aufgenommen.
Getestet wurden acht Glocken. Zwei Ding-Dong Klingeln mit zwei Klangschalen, zwei klassische Fahrradklingeln mit einer Klangschale, eine Drehklingel und drei Anschlagsklingeln (eine davon mit Doppelschlag) und außer Konkurrenz eine Hupe.
Glocke | Bauart | Lautstärke | Klangwahr-nehmung | Größe | Gewicht | Witterungsbeständigkeit/Dauerhaftigkeit | Bedienung | Kompatibilität |
DingDong groß | Zweitonglocke | 84 | + | 78 | 251 | Eisen | + | 22-25 mm, linke Lenkerseite, Kreuzschlitz |
DingDong klein | Zweitonglocke | 79 | o | 64 | 151 | Eisen | + | 22-25 mm, linke Lenkerseite, Kreuzschlitz |
Chinesische Klingel | Drehklingel | 83 | o | 62 | 170 | Eisen | o Mit Zeigefinger, Hand muss vom Lenkergriff genommen werden. | 22-25 mm, linke Lenkerseite, Kreuzschlitz |
I like my Bike | RingRing Mehrfachanschlag | 83 | o | 53 | 30 | Aluminium/Kunststoff | o | 22 mm, links, Kreuzschlitz |
Cateye | Eintonglocke mit Doppelanschlag | 81 | o | 33 | 40 | Edelstahl/Kunststoff | + | 22 mm, links, Kreuzschlitz |
Ping | Eintonglocke | 81 | - | 27 | 26 | Edelstahl/Kunststoff | + | 25 mm und durch Einlagering 22 mm, beidseitig, |
Q - Klingel | Eintonglocke | 84 | - | 38 | 17 | Aluminium/Kunststoff | + | 22 mm, beidseitig |
Klassische Fahrradklingel | RingRing Mehrfachanschlag | 83 | + | 56 | 104 | Eisen | + | 22-25 mm, linke Lenkerseite, Kreuzschlitz |
Hupe | Vierfacher Einton | 81 | - | 35 | 42 | Kunststoff | - | beidseitig über Kunststoffriemen |
Fazit
Alle Klingeln erreichen nicht die in der Norm vorgeschriebene Lautstärke. Meine Recherchen im Internet bestätigen diese Aussage. In der Klangwahrnehmung unterscheiden sich die Schellen sehr deutlich. Am schlechtesten schneiden die Einton-Glocken ab. Sie erzeugen durch einmaliges Anschlagen einen hohen Ton, der zwar einen gewissen Schalldruck erzeugt, aber in der Wahrnehmung als leise, piepsig und dezent geschrieben wird. Es ist bekannt, dass ältere Verkehrsteilnehmer diese hohen Töne oft nicht wahrnehmen. Die am besten Bewerteten waren die klassische Fahrradklingel und die große DingDong-Glocke. Sie wurden als harmonisch, Aufmerksamkeit erregend und „vollmundig“ beschrieben. Die meisten Soundgeber sind für die linke Lenkerhälfte gebaut und können einfach mit dem Daumen bedient werden. Bei einigen Pedelec-Varianten sitzen an diesem Ort allerdings die Steuerelemente, sodass hier die anderen Bauformen verwendet werden müssen. Die elektrische Hupe ist nicht nur gesetzlich verboten, sie ist in der vorliegenden Form auch nicht empfehlenswert. Die Batterien müssen regelmäßig erneuert werden und die schlechte Befestigung bietet Dieben Gelegenheit, sich zu bedienen.
Die „perfekte“ Bimmel habe ich leider nicht gefunden. Jede der getesteten Glocken hat Vorteile aber auch Nachteile. Bis ich sie finde, werde ich an meinem neuen Velo eine „klassische“ Glocke anschrauben. Sie ist ein guter Kompromiss zwischen Sound, Gewicht und Haltbarkeit. Über das Internet sind sie für wenig Geld gebraucht zu erhalten. Gutes Bicycle-Recycling!
Die königliche Verordnung aus dem letzten Jahrtausend gibt noch einen wichtigen Hinweis zur Nutzung. Es muss vielleicht nicht unbedingt 50 Meter sein, aber das Tonsignal sollte in einem weiten Abstand gegeben werden. Bei einem frechen „Weg-Da“ direkt hinter den zu Überholenden erntet man böse Blicke und Beschimpfungen, und es besteht die Gefahr einer erschreckten planlosen Richtungsänderung direkt vor den Vorderreifen. Wird man beim ersten Bimmeln nicht gleich gehört, so rate ich dazu, die Geschwindigkeit rausnehmen und ein weiteres Mal zu warnen, in Ermangelung einer Signalpfeife mit der eingebauten Stimme.